Es ist die Jahrhundertsensation. Mit „kleineren“ Worten kann man den erstmals gelungenen Nachweis von Gravitationswellen nicht beschreiben. Und das Timing ist perfekt: 100 Jahre nachdem Albert Einstein sie in seiner Allgemeinen Relativitätstheorie (ART) vorausgesagt hat, konnten Forscher der internationalen LIGO-Kollaboration Gravitationswellen direkt messen. Es handelt sich dabei um eine besondere Art von Strahlung. Sie besteht weder aus umherfliegenden Teilchen noch aus elektromagnetischen Wellen. Vielmehr sind es Schwingungen der Raumzeit selbst. Dass es so etwas geben muss, folgt aus der Gravitationstheorie, die Albert Einstein 1915 vollendet hat. Bislang gab es allerdings nur indirekte Hinweise auf die Existenz solcher Wellen.

Am 11. Februar 2016 wurden die ersten Ergebnisse im Fachmagazin „Physical Review Letters“ veröffentlicht, während zeitgleich in Washington, Moskau, Paris, Pisa, London und Hannover ein einzigartiger Pressemarathon startete.

Was sind das überhaupt für Wellen?

Im Prinzip entstehen Gravitationswellen überall, wo überhaupt etwas passiert: Nach Albert Einstein verursacht jedes Stück Materie und jede Form von Energie, Spannung oder Druck eine Krümmung in der Raumzeit, eine Art elastische Beule. Verfrachtet man einen Masseklumpen anderswohin, kehrt die Raumzeit in ihren unverbeulten Zustand zurück, ähnlich wie Luft in ein Volumen zurückströmt, aus dem sie eben noch durch die Präsenz eines Gegenstandes herausgehalten worden war. Schiebt man nun einen Körper schnell hin und her, etwa dadurch, dass man ihn im Kreis herumschleudert, erzeugt man damit Vibrationen in der Raumzeit, ähnlich wie rotierende Gegenstände Schallwellen erzeugen.

Zwei Körper, die die Raumzeit krümmen. Quelle: LIGO
Zwei Körper, die die Raumzeit krümmen. Quelle: LIGO

Messungen mit Neutronensternen oder Schwarzen Löchern

Nun finden sich im Kosmos bekanntlich jede Menge kreisende Objekte, aber von einer Raumzeitvibration war bisher nirgends etwas zu spüren. Zum Vergleich: Die Erde strahlt bei ihrem Umlauf um die Sonne lediglich 200 Watt in Form von Gravitationswellen ab. Für messbare Abstrahlleistungen müssen sich also ganz andere Massen drehen – je schwerer, dichter und schneller, umso besser. Im Fokus der Gravitationswellensucher standen daher vor allem Neutronensterne. Das sind Kugeln aus Kernmaterie, anderthalb mal so schwer wie die Sonne, aber mit Durchmessern von lediglich zwanzig bis dreißig Kilometern. „Umtanzen“ sich zwei Neutronensterne, verlieren sie durch die Abstrahlung von Gravitationswellen Energie, so dass sie immer weiter zusammenrücken, bis sie schließlich mit einem großen Gravitationswellen-Knall verschmelzen. Noch extremere Objekte sind Schwarze Löcher. Allerdings wurde bisher noch nie ein Duo beobachtet und es war völlig unklar, ob sie überhaupt paarweise auftreten können.

 

Der Jackpot für LIGO

Das „Laser Interferometer Gravitationswellen Observatoriums“, kurz LIGO, ist eine Kollaboration von mehr als tausend Wissenschaftlern aus 16 Nationen, wobei einige entscheidende Detektorkomponenten in Deutschland entwickelt wurden. Während die kilometerlangen Antennen in Hanford (Washington) und Livingston (Louisiana) in den USA stehen, ist das größte für LIGO tätige Rechenzentrum im 3000 Kilometer entfernten Hannover, am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik (Albert-Einstein-Institut AEI) untergebracht. Am 14. September vergangenen Jahres befanden sich die Messgeräte eigentlich noch im Testbetrieb. 35 Minuten (!) nach Beendigung der Kalibrierungsarbeiten geht plötzlich ein Signal ein. Durch die Zeitverschiebung wird es am Vormittag zuerst in Hannover am AEI von dem Postdoktoranden Marco Drago registriert, während sich die Amerikaner noch im Tiefschlaf befinden. Der denkt im ersten Moment noch an ein Testsignal. Schnell wird aber klar, dass LIGO sozusagen den Jackpot geknackt hat: Nicht nur wurden Gravitationswellen gemessen. Zu dem wurden die Wellen von der Kollision zweier Schwarzer Löcher ausgelöst. Die Sensation war perfekt.

Ein weiterer Grund, warum die Messung so viel mehr ist als die bloße empirische Bestätigung der Existenz von Gravitationswellen, liegt in der schieren Gewalt des Ereignisses. Wem wird nicht schwindlig bei der Vorstellung zweier sternschwerer Kugeln mit den Ausmaßen mitteleuropäischer Staaten, die sich 35 Mal schneller umkreisen, als die beste Eiskunstläuferin Pirouetten drehen kann, und die dann mit siebzig Prozent der Lichtgeschwindigkeit ineinanderkrachen. Das ist nur schwer zu fassen.

Die Verschmelzung zweier Schwarzer Löcher. Quelle: LIGO
Die Verschmelzung zweier Schwarzer Löcher. Quelle: LIGO

„Als ob die Menschheit ein neues Sinnesorgan entwickelt hätte.“

LIGO hat tatsächlich ein neues Fenster zum Universum aufgestoßen, in dem sich Objekte und Vorgänge studieren lassen, für die die Wissenschaft vom Kosmos bisher blind war. „Es ist, als hätten wir auf einmal ein ganz neues Sinnesorgan bekommen“, sagt Karsten Danzmann vom AEI. „99 % des Universums sind dunkel. Wir erhalten hier den ersten Einblick in eine Schattenwelt und können gespannt darauf sein, was dort alles verborgen ist.“

Mit dem Satelliten „Lisa Pathfinder“ testet die Europäische Weltraumorganisation derzeit auch Techniken für die Gravitationswellensuche im All. Diese Mission, eLisa genannt, soll aktuell im Jahr 2034 starten. Nach der Veröffentlichung der epochalen Entdeckung am 11. Februar hofft der eine oder andere Wissenschaftler aber, dass es vielleicht auch früher klappen könnte. In jedem Fall hat das Zeitalter der Gravitationswellen-Astronomie begonnen.

Quellen: F.A.Z., MAX-PLANCK-INSTITUT FÜR GRAVITATIONSPHYSIK, LIGO

Von Redaktion

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