Man darf sagen: Dies war ein wirklich unerwarteter Abend. Unerwartet gut, nicht zuletzt, weil der Termin für Schüler eher einer „Pflichterfüllung“ gleich kam, als einer mit Freude erwarteten Einladung. Der Abend war als „Mahlgemeinschaft“ angekündigt, einer von Luther gepflegten Tradition, in der die Gemeinde nach dem Gottesdienst noch bei einem Getränk und einem kleinen Mahl zusammen kommt. Dabei ließ es sich Luther nicht nehmen, seine Gäste mit Tischreden zu unterhalten – mal klagend, mal belustigend, mahnend oder voller Hoffnung auf eine sich verändernde Welt. Aber der Reihe nach.
So hat die Mensa bisher noch niemand gesehen!
Zu den unerwarteten Momenten gehörte gleich beim Hereinkommen die großartige Dekoration des Forums: eine in Kerzenlicht getauchte Mensa, festlich gedeckte Tische und wunderschöne Fackelschalen, die selbst im Außenbereich für eine mittelalterliche Stimmung sorgten und den perfekten Hintergrund für Martin Luther am Tischkopf abgaben. Die Tafel war reichlich gedeckt mit Käse, Schinken, Salami, verschiedenen Brotsorten und jeder Menge fein geschnittener Rohkost. Wer das Abendessen vorher nicht geschafft hatte, brauchte sich definitiv keine Gedanken zu machen. Gegessen wurde übrigens mit den Fingern, so wie es sich für damalige Zeiten gehörte. Ins Konzept passte auch, dass sich die Gäste mit der Bewirtung untereinander halfen: einer schnitt das Brot, der andere den Käse und die Wurst. Daraus ergaben sich nicht nur ungezwungene Plaudereien, sondern auch die eine oder andere Anekdote, die am besten mündlich weitergegeben wird. @ Frau Neddermeyer: Die Brotschneide-Geschichte war der „Running Gag“ des Abends 😉
Johannes Mitternacht als Martin Luther.
Und dann kam Johannes Mitternacht in Gestalt Martin Luthers. Nebenbei sei angemerkt, dass der Delmenhorster Schauspieler ehemaliger Willms-Schüler ist und (man glaubt es kaum) bereits von Herrn Roth unterrichtet wurde. In seiner Begrüßungsrede erzählte Herr Roth von einem alten Film mit Straßeninterviews, den er mit Johannes und einer Schülertruppe gedreht hatte, ganz früh am Morgen in der Delmenhorster Innenstadt. Leider ist dieses frühe Werk verschollen – wahrscheinlich ein alter Super 8-Streifen. Falls jemand eine Idee zum Verbleib hat, bitte unbedingt melden!
Zurück zu Martin Luther. Ohne große Ankündigung steht er plötzlich vor seinen Gästen und beginnt seine erste Rede. Man muss sich kurz an die mittelalterliche Sprache gewöhnen, ist aber schneller drin, als man denkt. Dies ist Johannes Mitternacht zu verdanken, der den Luther gibt, als würde er dies jeden Sonntag machen. Eindringlich schimpft er über den Ablasshandel und den moralischen Unsinn, der damit einher geht. Als er diese erste Rede beendet, beginnt perfekt abgestimmt die Musik. Die haben wir Frau Engel und ihrer Musikgruppe Oilensanc zu verdanken. Der Klang der mittelalterlichen Instrumente ist eindrucksvoll, ebenso wie die Gesangsstimme von Frau Engel. Am Tisch wird sogleich darüber spekuliert, welches Instrument wie heißen mag (Harfe, Geige und Gitarre waren noch einfach, bei der Drehleier war unser Wissen bereits erschöpft). Das Trio versäumte Gott sei Dank nicht, unsere Wissenslücken am Ende zu füllen.
Da spricht er tatsächlich von furzen und kacken …!
Luther hat sich inzwischen zu uns an die Tafel gesellt und gibt in regelmäßigen Abständen weitere Tischreden zum Besten. Und wer hätte das gedacht: Seine Sprache ist deftig. So deftig, dass auch mal von furzen und kacken gesprochen wird. Definitiv unerwartet. Nahtlos geht es zwischen Luthers Reden und Oilensanc mit Liebesliedern aus Irland, Minnesang oder wehmütiger Lyrik von den aus Spanien vertriebenen sephardischen Juden, hin und her. Am Ende des Abends bringt es Frau Neddermeyer auf den Punkt: „Nicht nur ist mein Magen erfüllt mit gutem Essen, mein Kopf mit beeindruckenden Reden, sondern auch mein Herz ist erfüllt.“ Sichtlich beeindruckt stellt sie fest: „Eine Veranstaltung, die ich so noch nicht in einer Schule erlebt habe.“
Derartige Kulturveranstaltungen mögen für Schüler oft nicht die erste Wahl sein. Aber manchmal muss man der Sache eine Chance geben und wird dann – unerwartet – positiv überrascht. Und bedenkt man, dass Luther seine Reden vor 500 Jahren gehalten hat, war der Inhalt fast beängstigend aktuell.
Lieber Autor/ liebe Autorin!
Vielen lieben Dank für diesen wirklich gelungenen Beitrag, die schönen Fotos sowie die lobenden Worte. Es wäre toll, wenn euer Artijkel von Vielen gelesen würde, sodass beim nächsten Mal noch mehr Schüler Lust bekommen, teilzunehmen…
viele Grüße,
Frau Engel
Ich danke dem Schülerzeitungsredaktionsteam für den tollen Artikel, der die Stimmung des Abends sehr gut wiedergibt. Das macht Mut, dass sich solche Veranstaltungen letztlich doch lohnen für die Leute, die sich entscheiden, zu kommen.
Mit besten Grüßen
Lutz Roth